180 Fachkräfte der 15 städtischen Kitas Erkelenz nehmen teil
Lebenshilfe gestaltet Fachtag Inklusion in Erkelenz
Die Stadt Erkelenz veranstaltet einen großen Fachtag zur Inklusion in der frühkindlichen Bildung: Lebenshilfe Heinsberg schult rund 180 Fachkräfte der 15 städtischen Kindertagesstätten in Erkelenz
„Alles begann vor sechs Jahren mit einem Schnupfen“, erinnert sich Sandra Senftleben vor rund 180 Erzieherinnen und Erziehern in der Stadthalle Erkelenz an die ersten Tage ihrer Tochter Emma in der Kindertagesstätte zurück. Anders als ihr großer Bruder, der sich schnell in der Kita eingewöhnt hatte, wollte Emma nur getragen werden und saß ansonsten immer in der gleichen Ecke. Der Schnupfen wurde nicht besser, dann hörte Emma zunehmend schlechter. In der Kita benötigte sie mehr Aufmerksamkeit als die anderen Kinder. Der Kinderarzt sah keinen Grund zur Sorge, aber die Familie und die Erzieher in der Kita stellten fest, dass sich Emma langsamer entwickelte als die anderen Kinder.
So begann eine lange Zeit der Sorgen und Ungewissheit und eine mehrjährige Odyssee zu zahlreichen Ärzten und Kliniken, bis endlich eine Diagnose gestellt werden konnte. Emma hat das Phelan-MC Dermid-Syndrom, eine seltene genetische Entwicklungsstörung, die zu einer geistigen und körperlichen Behinderung führt. Weltweit sind nur 1000 Fälle diagnostiziert.
Mit der Entwicklungsgeschichte ihrer Tochter eröffnet die Mutter aus Geilenkirchen den Fachtag „Inklusion“ in der Stadthalle Erkelenz, den die Lebenshilfe Heinsberg auf Einladung des Jugendamtes der Stadt Erkelenz durchgeführt hat.
Spätestens seit Einführung des Bundesteilhabegesetztes ist der gesellschaftliche Wunsch nach Inklusion auch rechtlich verankert. Doch im Alltag einer Kita oder Schule bleibt es für Kinder wie Emma eine große Herausforderung, mit anderen Kindern zu spielen, zu lernen und sich frei zu entwickeln. „Häufig fehlt uns Fachkräften das notwendige Wissen über den Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten, die Kenntnis über Behinderungsarten oder den methodischen Einsatz spezifischer Fördermittel“ erläutert Birgit Roye.
Gemeinsam mit Agi Hirtz leitet sie fünf inklusive Kindertagesstätten der Lebenshilfe im Kreis Heinsberg. Sie und ihr Team haben sich seit Jahrzehnten auf die gemeinsame Förderung von Kindern mit und ohne Behinderung spezialisiert. „Inklusion braucht nicht nur Fachwissen im Kontext von Therapiemitteln, unterstützter Kommunikation und Barrierefreiheit. Inklusion braucht auch Verständnis und eine offene Haltung im Team.“ Kitas müssen sich öffnen und Raum schaffen für individuelle Lebenswelten, um eine aktive Teilhabe von Kindern mit Behinderung in den Gruppenalltag zu ermöglichen. Auch in Zeiten von Personal- und Raummangel sei dies möglich, so die Botschaft des Fachtages.
In Workshops wurden die Fachkräfte unter anderem in die Arbeit der unterstützten Kommunikation und den Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten geschult. Im Rahmen eines Selbsterfahrungskurses empfanden die Erzieherinnen und Erzieher nach, wie sich der Alltag mit körperlichen Einschränkungen anfühlen kann und welche Ansätze der Unterstützung hilfreich sind. Auch die vielfältigen Chancen einer vorurteilsfreien Bildung im gemeinsamen Spiel, eine barrierearme und individuumszentrierte Gruppenraumgestaltung sowie die pädagogische Förderung von Kindern mit Autismus wurden den Teilnehmern nähergebracht.
Ein weiterer Themenschwerpunkt war die Arbeit und der Umgang mit den Eltern und Angehörigen. Mit zahlreichen Praxisbeispielen gab Birgit Roye Einblicke in ihre Arbeit in der Lebenshilfe. „Nervenzerreibend ist für viele junge Eltern die Zeit der offenen Fragen, wenn der Verdacht einer Entwicklungsverzögerung, einer Behinderung oder Autismus im Raum stehen. Den Kindern selbst schadet es meist nicht, wenn nicht gleich eine konkrete Diagnose im Raum steht. Aber die Eltern belastet diese Zeit, in der wir Pädagogen in den Kitas häufig die einzigen Ansprechpartner sind.“
Ralf Schwarzenberg, Leiter des Jugendamtes Erkelenz, hat sich für die Realisation des Fachtages Inklusion für die Fachkräfte der städtischen Kitas eingesetzt und bedankte sich für den intensiven, fachlichen Austausch: „Ich wünsche mir, dass in unseren Kindertagesstätten alle Kinder willkommen sind und die Erzieherinnen und Erzieher auch in Zukunft die Arme öffnen für alle Familien, die kommen werden. Die Lebenshilfe Heinsberg geht seit Jahrzehnten mit gutem Beispiel voran und hat unseren städtischen Teams heute sehr eindrücklich und praxisnah vermittelt, wie sehr sich eine kindzentrierte, positive Haltung im Kita-Alltag auf die Förderung des Kindes auswirkt.“
Dabei sein von Anfang an!
Seit vier Jahren entwickelt die Lebenshilfe Heinsberg in dem von der Aktion Mensch geförderten Projekt „Dabei sein von Anfang an“ neue Ansätze einer teilhabeorientierten Förderung von Kindern mit Behinderung im Kreis Heinsberg. In Kooperationen mit Vereinen und Freizeiteinrichtungen wird dabei die Entwicklung inklusiver Freizeitangebote vorangetrieben, fachliche Beratung für Kindertagesstätten angeboten und auch die Vernetzung der Familien mit Kindern mit Behinderung gefördert. „Wir jungen Eltern brauchen den Austausch über unseren Alltag und die Erfahrungen mit unseren Kindern“, betont Sandra Senftleben, die mit zahlreichen weiteren Familien ein Elternnetzwerk im Kreis Heinsberg gegründet hat, das durch das Förderprojekt der Lebenshilfe Heinsberg begleitet wird. „Wir tauschen uns über barrierearme Freizeitangebote aus, treffen uns zum Spielenachmittag oder verabreden uns einfach nur zum Reden über die Herausforderungen im Alltag mit einem Kind mit Behinderung.“