Hausaufgaben kommen jetzt auch per WhatsApp

Der Berufsbildungsbereich der Werkstätten der Lebenshilfe Heinsberg erstellt während der Corona-Krise in kurzer Zeit ein umfangreiches digitales Lernportal.

Seit Ausbruch des Corona Virus im März 2020 sind Kindertagesstätten und Schulen geschlossen. Auch Werkstätten für Menschen mit Behinderung sind von dieser Maßnahme betroffen. Der Berufsbildungsbereich der Werkstätten der Lebenshilfe Heinsberg arbeitet jedoch weiter: Die Bundesagentur für Arbeit hat entschieden, dass die berufliche Bildung für Menschen mit Behinderung in alternativen Formen wie auch an Schulen und Universitäten weiter angeboten wird.

Zwei Tage habe er nicht geschlafen, nachdem er diese kurzfristigen Vorgaben erhalten hatte, berichtet Wolfgang Philippen, Leiter des Berufsbildungsbereiches der Lebenshilfe Heinsberg: „Wie soll man die zahlreichen Lerninhalte und teils sehr praxisorientierten Berufsfeldern den derzeit rund 100 Teilnehmern des Berufsbildungsbereiches auf die Schnelle online zugänglich machen?“ Doch gemeinsam mit seinem Team aus sechs Bildungsbegleitern wurden rasch erste Ideen konkretisiert. „Wir wollten einfache und praktikable Lösungen finden, mit denen wir möglichst schnell viele Menschen erreichen, egal welche Endgeräte sie nutzen.“ Also entschied man sich für eine einfache Cloudlösung, die mit Tablet, Smartphone oder PC genutzt werden kann. Die selbst erstellten Materialien wie Arbeitsblätter, Lernvideos und Hörspiele werden von den Bildungsbegleitern auf die Lernplattform geladen. Wöchentlich werden neue Aufgaben zum Herunterladen und Bearbeiten hinzugefügt.

Der erste und bis heute wichtigste Kontakt entstand über WhatsApp. „Jeder nutzt es privat. Aber dienstlich nutzten wir solche Kommunikationswege aus Datenschutzbedenken bisher nicht. In der Krise muss man aber unkonventionelle Ideen ausprobieren“, sagt Wolfgang Philippen, was sich bewährt hat: Mit fast der Hälfte der Teilnehmer steht das Team des BBB heute täglich per Nachrichten-App in Kontakt. „Die Teilnehmer rufen uns an, um sich auszutauschen, schicken uns Fotos oder senden uns kleine Videos aus ihrem Alltag“, erklärt Bildungsbegleiterin Alice Frontczak. Das Tablet sei zurzeit ihr wichtigstes Arbeitsinstrument. Ihre Bildungsschwerpunkte liegen in der Verkehrserziehung sowie dem Lesen, Schreiben und Rechnen. Für sie ist die Umstellung ihrer Lerninhalte aufs Tablet eine interessante Erfahrung: „Ich hätte nicht gedacht, dass wir trotz der räumlichen Entfernung so intensiv und gut arbeiten können.“ Rund zehn Minuten telefoniere sie täglich mit ihren Teilnehmern, ständig blinkt eine neue Nachricht auf dem Tablet, die schnell beantwortet wird.

Arbeitsmaterialien werden wöchentlich per Post versendet, jeder Teilnehmer kann so seine eigene Arbeitsmappe im „Homeschooling“ anlegen. Viele senden ihre Ausarbeitung per Foto oder als Scan zurück. In der kommenden Woche liegt ein Schwerpunkt in der Sach- und Naturkunde. Hundert kleine Tüten mit Kressesamen zum Selbstanbau gehen dann auf die Reise per Post. Parallel entsteht im BBB gerade ein Zeitraffer-Video über das Wachstum der kleinen Küchenkräuter. Viele der Anschauungsmaterialien und Arbeitshilfen werden von den Bildungsbegleitern selbst entworfen, erläutern Bernd Liebens und Jürgen Brinker. Ihre Lerninhalte orientieren sich an den individuellen Bildungsrahmenplänen und den zahlreichen Berufsfeldern der Werkstätten. Die Arbeitsmaterialien zu Material- und Werkzeugvermittlung sowie Arbeitssicherheit entwickeln sie in einfacher Sprache und mit anschaulichen Abbildungen. Viele Teilnehmer benötigen dazu aber auch Erläuterungen, daher filmen sich die beiden Bildungsbegleiter jetzt gegenseitig mit dem Smartphone und laden ihre Lehr-Clips in die Cloud. „Der erste Clip war holprig und mir war es unangenehm, vor der Kamera zu sprechen“, sagt Jürgen Brinker, „aber mit jedem neuen Clip wirst du lockerer!“

Neu im Team des BBB ist Yana Schmitz, die bisher als Lehrerin an einer Gesamtschule gearbeitet hat. Sie sieht nicht nur große Chancen in der Digitalisierung der Lerninhalte. Vor allem genießt sie den didaktischen Freiraum gegenüber ihrer bisherigen Arbeitsstelle. Ihre Bildungsinhalte liegen in der Vermittlung von Mengen- und Zahlenverständnis, Körperpflege und Freizeitgestaltung. Für ihre Teilnehmer hat sie Videos gedreht zu Themen wie Schminken oder Gesichtspflege. Sie freut sich über die Ergebnisse, die ihre Teilnehmer per Fotos zurück senden. Zurzeit arbeitet sie an einem Hörbuch über Freundschaft und Vorurteile, das sie in kleinen Kapiteln regelmäßig online stellt. Ihre Kollegin Julia Förster arbeitet im Homeoffice und nutzt ihre gesamte Wohnung als Kulisse für ihre Lernvideos rund um ihren Themenschwerpunkt Haushaltslehre. Sie erklärt Staubsaugen, Betten machen, Bügeln oder Kochen und gibt Rezepte-Tipps. Die Clips werden anschließend am Smartphone geschnitten und auf der Lernplattform veröffentlicht.

Wolfgang Philippen kann längst wieder gut schlafen. Heute sehen er und sein Team aufgrund der Vielfalt an Unterrichtsmethoden und den Möglichkeiten des individuellen Austausches mit den Teilnehmern große Chancen im Einsatz digitaler Lernmedien und sind sich einig: „In dieser Krise haben wir unser großes Entwicklungspotential entdeckt!“

Der Berufsbildungsbereich bietet Mitarbeitern mit Behinderung, die einen Arbeitsplatz in den Werkstätten der Lebenshilfe Heinsberg erhalten, innerhalb der ersten zwei Jahre umfangreiche persönliche Förderung und berufliche Bildungsangebote. Die Schwerpunkte liegen in der theoretischen und praktischen Vermittlung unterschiedlicher Arbeits- und Berufsfelder. Das beinhaltet auch die damit zusammenhängende Material- und Werkzeugkunde. Die Persönlichkeitsförderung konzentriert sich vor allem auf die Vermittlung von Kulturtechniken und Selbstständigkeit. Mehr Informationen zum BBB finden Sie hier.